Werkeinführung
Thomas Buchholz: DEUTSCHE MESSE nach Luther
Die Deutsche Messe entstand für das Hilliard-Ensemble mit finanzieller
Unterstützung des Landes Sachsen-Anhalt.
Luthers enge Beziehung und Liebe zur Musik ist nicht nur durch die
zahlreichen Hinweise aus seinen Tischreden überliefert, auch die berühmte
Vorrede zum ersten Gesangbuch von 1524 in Versform belegt in eindrucksvoller
Weise diese Tatsache. Die durch Mitteldeutschland im 16. Jahrhundert ziehende
Reformwelle war eine Antwort auf die repressive Politik der Römisch-Katholischen
Kirche. Das es dabei nie zu einer Reformation sondern zu einer Kirchenspaltung
kam, war nicht Luhters Absicht, sondern vielmehr das Ergebnis der Reformunwilligkeit
Roms.
Luther war keineswegs allein mit seinem Gedanken, die christliche Religion
breiteren Volksschichten verständlicher zu machen. Zum einen ist seine
Bibelübersetzung ins Deutsche weder die erste noch die einzige. Obwohl
sie natürlich wegen ihrem Beitrag zur Entwicklung einer deutschen
Einheitssprache die bedeutendste Übersetzung ihrer Zeit ist. Luthers
Bemühen richtete sich in seiner Kritik auch gegen die Praxis der kirchlichen
Gemeindearbeit. Hier wollte er die deutschsprachige Messe wegen ihrer allgemeinen
Verständlichkeit der lateinischen Form vorziehen. Damit war natürlicherweise
auch die Reform der kirchlichen Gesänge verbunden, wodurch der Typus
des Lutherliedes entstand. Ob Luther selbst komponierte, wissen wir nicht.
Aber er hatte nachweislich viele musikalische Berater.
Das überlieferte Liedgut aus Luthers Umkreis ist zum einen durch
Kontrafakturverfahren entstanden, in dem lateinische Stücke übersetzt
oder deutschsprachig neu textiert wurden. Zum anderen gibt es auch eine
Reihe von Melodien, die keine lateinischen Quellen haben und somit entweder
als Neuschöpfungen gelten können oder im Parodieverfahren aus
anderen Quellen entstanden. Besondere Beachtung verdient das Gaubenslied,
das aus lateinischsprachigen liturgischen Stücken der Messe hervorgegangen
ist. Wir wissen, dass Luther bei der Reform des Gottesdienstes sehr viel
Wert auf die Qualität der musikalischen Ausgestaltung legte. Daher
hat er vermutlich einfache gregorianische Hymnen sowohl in der Nachdichtung
als auch in der musikalischen Anlage zu eigenständigen Liedern selbst
umgestaltet oder umgestalten lassen. Viele dieser Lieder sind heute im
evangelischen Gottesdienst immer noch zu finden, obgleich bezüglich
der originalen Liturgie Luthers zeitbedingte Änderungen durchgeführt
wurden. Hinzu kommen rhythmische und melodische Vereinfachungen, die bereits
ab dem 17. Jahrhundert zu beobachten sind. Die Grundform der Messe hat
Luther von der Katholischen Kirche übernommen. Dennoch führte
sein Spagat zwischen Überlieferung und Neuansatz zu einer neuen Qualität,
die weitreichende kulturelle Bedeutung auch für die Musikgeschichte
nachfolgender Generationen erlangte.
Die hier vorliegende Messe stützt sich auf die Überlieferungen
aus Luthers Wittenberger Zeit und die in diesem Umfeld entstandenen liturgischen
Stücke und Lieder. Der Versuch, wiederum einen Spagat zwischen
Tradition und Moderne zu machen, dürfte letztlich ganz im Lutherischen
Geist sein. Formal wird die Messe durch einen allgemein gehaltenen
Introitus und den Schlusssegen ergänzt, was der Tradition des proprium
missæ entspringt. Das ordinarium missæ wurde ungekürzt
übernommen (Nr. 2 - 6). Alle Texte sind direkt auf Luther als Urheber
oder Übersetzer zurückzuführen. In den meisten Stücken
ist mit Originalmelodien gearbeitet worden. Die wunderbare Sprachgewalt
Luthers, sowohl als Übersetzer als auch als Dichter, waren Anregung
und Anspruch für einen schöpferischen Neuansatz im Umgang mit
dieser kultur- und religionsgeschichtlich bedeutungsvollen Tradition.
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