Werkeinführung
Letare Germania per coro misto a cappella
Entstehung:
Die Komposition entstand 2006 im Auftrag des Chores „Canticum Antiquum“ für die Ausrichtung der Elisabethfeiern der Stadt Marburg. Die Uraufführung fand im Oktober 2007 in
der berühmten Elisabethkirche in Marburg statt, in der auch die Gebeine der Elisabeth aufgebahrt sind.
Elisabeth von Thüringen:
Die Figur der Heiligen Elisabeth begegnet mir in meinem Leben nicht das erste Mal. Bereits in meiner Geburtsstadt Eisenach (Thüringen) war ich schon in früher Kindheit mit den sagenumwobenen
Legenden dieser vertraut gemacht worden, die sich so eng mit meiner lieben Wartburg verbinden. Die Fresken Moritz von Schwindts auf der Wartburg, die sieben Werke der Barmherzigkeit darstellend,
oder die Rosenwundersage sind in meiner Erinnerung immer noch lebendig. Daher ist es mit nicht schwer gefallen, mich auch kompositorisch der Materie zu nähern. Anfänglich fand ich eine Reihe von
Gedichten aus unterschiedlicher Zeit, die meisten von ihnen waren romantische Huldigung und sehr weit von einem möglichst authentischen Elisabeth-Bild entfernt. Erst die nähere Beschäftigung mit den
historischen Schriften und den Ergebnissen der modernen Forschung haben mir gezeigt, dass Elisabeth nicht nur eine charismatische Figur ihrer Zeit war, sondern in umfassender Betrachtung eines aus
historischer Genauigkeit und recht früh einsetzender Legendenbildung eine nahe am Marienbild orientierte Frauengestalt war, die ein neues, von humanistischem Geist geprägtes Weltbild mit bestimmte,
das weit über ihre Zeit und über ihren Aktionsradius hinausweist. In wieweit Elisabeth für ein neues Frauenbild in der Gesellschaft herhalten kann, ist nicht sicher, da ihre lebenslange Abhängigkeit von
anderen Personen nicht recht zur Gestalt einer Medea zu passen scheint, die für Emanzipation und Anerkennung der Frau steht. Elisabeth war keine gesellschaftliche Größe, sondern eine religiöse.
Sie steht also Mutter Theresa näher als den Personen der modernen Frauenbewegung. Vielleicht ist es das, was sie uns im 21. Jahrhundert wieder so interessant macht: Inmitten von Reichtum und
Konsum ein Pol der Besinnung auf das Wesen des Menschseins in der Verantwortung vor Gott und der Natur. Elisabeth ist nicht die Zurück-an-den-Herd-Frau, Elisabeth ist nicht die fromme Heilige,
die in Gebeten allein ihre Erfüllung findet, Elisabeth ist eine Frau der Tat, sie ist die Frau der gelebten Verantwortung gegenüber den Menschen, deren Platz auch heute noch in der Gesellschaft geprägt
ist von Ausgrenzung und Isolation. „Elisabeths Liste“ ist die Liste der Aussätzigen. Dieses entlarvende Wort der Aussätzigkeit fasst den Aussatz als Krankheitsbild zusammen mit dem Begriff des
Ausgesetztseins oder Ausgesetztwerdens. Die Romantik hat der Figur der Elisabeth vielleicht daher den Schleier der Sentimentalität übergeworfen, weil man nicht gewahr werden wollte der Wunden,
für die man die Wunder setzte. Angesichts der Kriege, die uns immer wieder der Unmenschlichkeit schuldig werden lassen oder um ganz hier in Deutschland zu belieben, dem modernen „Randmenschen“
mit dem Signum Hartzvier – hier steht Elisabeth mit einer Selbsthingabe, die wir alle wohl etwas vermissen. Und das ist Bestandteil des kunstästhetischen Denkens geworden: Anstelle zu bügeln, geht es
darum die Konturen herauszuarbeiten und nicht allgemeiner Verflachung zu verfallen.
Zur Komposition:
Für die Verfertigung einer Chorkomposition war mir die Zeitnähe sehr wichtig. Zwei Quellen haben meine Arbeit besonders geprägt: Die kleine Schrift Ernst Rankes, mit teilweise recht schulmeisterlich
anmutenden Tonsätzen mittelalterlicher Antiphonarien (Leipzig, 1883) und die wissenschaftliche Publikation „Two offices for St. Elizabeth of Hungary : Gaudeat Hungaria and Letare Germania“ von
Barbara Haggh (Ottawa, 1995). Die letztere Publikation enthält die erste wissenschaftlich exakte Edition der Antiphonarien, die als früheste Zeugnisse der Huldigung gelten dürften. Für meine Komposition
entschied ich mich für eine Bearbeitung von Antiphon I – V aus der Vesperæ I der Letare Germania. Diese fünf in ihrer musikalischen Diktion sehr interessanten gregorianischen Melodien in authentischen
und plagalen Modi bilden das Grundgerüst des Chorzyklus. In jedem einzelnen Antiphon habe ich eine andere Technik der Verarbeitung der musikalischen Quelle gewählt. Die historischen Melodien sind
gleichsam verwoben in das satztechnische Flechtwerk der Stimmen. Um der Besonderheit jeder einzelnen Verarbeitung zu entsprechen, habe ich auch Stimmenzahl und Disposition ganz der
kompositorischen Technik angepasst. Die Siebenstimmigkeit des Chorsatzes, entsprechend den sieben Werken der Barmherzigkeit (man vergebe mir diese mittelalterliche Spielerei), wird also
an manchen Stellen bis zur Dreistimmigkeit reduziert ohne den Charakter des chorischen Satzes zu verlassen.
Folgt man der historischen Quelle, dann wurde nach jedem Antiphon ein Psalmvers intoniert. Allerdings verrät die Quelle nicht, welche Psalmen verwendet wurden. Hier half mir die Publikation
Rankes weiter, dem als Quelle ein Pergamentkodex der Fuldaer Landesbibliothek aus dem 14. Jahrhundert vorlag, bei dem es sich offensichtlich um eine spätere Abschrift und Ergänzung der
zuvor erwähnten älteren Quellen, die 1248 und 1270 datieren. Bei Ranke finden sich nun jene Psalmtexte aus denen ich nach jedem Antiphon eine eigene Vertonung schuf. Diese Vertonungen
weichen dem historischen Klangbild aus und sind nach einer dodekaphonischen Matrix gebaut, die sich aus der Überlagerung aller fünf Antiphonmelodien ergab. Damit ist die Anlage der Komposition
und ihrer Texte folgende:
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Bei der Textschreibweise der Antiphongesänge habe ich mich an die älteren Quellen gehalten, bei den Psalmen an die Ausgabe der Biblia sacra vulgata (Stuttgart, 1969).
Die dadurch entstandene Vermischung älterer latainischer Wendungen und der modernen lateinischen Fassung der Vulgata ist insofern bewusst gesetzt, als dass dies auch der
musikalischen Diktion des Werkes entspricht. Die Antiphonaria bewegen sich in freimodaler Tonalität während die Psalmverse in dodekaphoner Atonalität gehalten sind.
Die musikalischen Bausteine des Zyklus bestehen aus folgender dodekaphonen Reihe und ihren Abwandlungen:
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Die musikalischen Quellen für die fünf Antiphone sind aus folgenden Melodien abgeleitet:
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TB.
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