Werkeinführung
Thomas Buchholz: Kammersinfonie VIII " Ellipse"
in memoriam Alfred Schnittke
Die Kammersinfonie VIII gehört in eine Werkgruppe von insgesamt 10 Kammersinfonien. Sie entstand 1995 auf Anregung von Howard Arman,
der das Werk 1997 für eine CD mit dem Händelfestspielorchester Halle einspielte (Thorofon CTH 2380).
Das ganz in der Art des Concerto grosso komponierte Werk mit einer an barocke Continuo-Praxis erinnernden Solistengruppe (Flöte. Cembalo, Fagott)
ist eine Hommage an jenen Komponisten, der mir künstlerisch nahe steht: Alfred Schnittke. Auch er hat eine große Anzahl von Werken komponiert,
die einen schöpferischen Bezug zur Musik des 17. und 18. Jahrhunderts herstellen. Für mich ist dieser Bezug geografisch von Bedeutung.
Mein Lebensumfeld ist jene mitteldeutsche Landschaft, mit der eine überragende Zahl deutscher Komponisten zwischen 1580 und 1750 gelebt hat.
Zunächst wird nach einer kurzen Einleitung, in der der Geburtsvorgang des Themas stattfindet, dieses durch die Solistengruppe (angeführt vom Cembalo)
vorgestellt. Dabei ist der erste kleine „Fehler“ bereits vollbracht: Das Thema geht am Schluss metrisch nicht auf und bildet 8 1/2 Takte, wodurch der
Einsatz der Flöte durch eine Bücke verfrüht und unerwartet erfolgt. Im weiteren Verlauf werden die Einsätze des nun stetig variierten Themas unablässig
verschoben. Virtuose und kontrapunktische Auslotungen des historischen Materials führen über Verfremdungen bis zum Mutieren in Setzweisen des 20.
Jahrhunderts. Der Orchesterpart hingegen beginnt mit modernen Setzungen, die dem Prinzip der punktuellen Tonvereinzelung gehorchen, und führt allmählich
zum historisierten Thema.
Damit ergibt sich eine sogenannte chiastische Form, das heißt übersetzt eine X- Form, die durch die Überkreuzung der beiden Entwicklungsprozesse
charakterisiert ist. Dabei ist die Werkmitte eine stilistische Kopulation, in der beide Setzweisen, die historische und die neue, gegeneinander aufgehoben werden.
Die vielerorts beobachtete Abkehr der Komponisten von jeder Art Traditionslast, ist im 20. Jahrhundert eine notwendige Aktion gewesen, um neue musikalische
Denkstrukturen zu schaffen. Auf der Suche nach einer neuen Tonalität hat Buchholz den Kegel der Musikentwicklung von der Barockzeit bis zur Gegenwart
schräg bis in die Gegenwart aufgeschnitten, so dass die Schnittoberfäche die geometrische Figur einer Ellipse bildet. Und im Hinblick auf ein Erdzeitalter von
über zwei Milliarden Jahren, in dem der Mensch seit etwa einer Millionen Jahre seine Kulturgeschichte lebt, erweisen sich 250 Jahre Musikgeschichte in
Europa als ein recht zusammengehöriger zeitgeschichtlicher Abschnitt.
Thomas Buchholz
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