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Werkeinführung

Händels Alptraum

Entstehung:

Das Stück für Streichorchester entstand 2010/11 im Auftrag für das Festival IMPULS. In den jährlich stattfindenden IMPULS-Festivals gab es immer sogenannte Backstage-Projekte, die vorwiegend unter professioneller Anleitung mit Schüler:innen gestaltet wurden. Das Theaterprojekt „Nacht und Traum“ (Idee und Regie Almut Fischer) war das Projekt im Jahr 2011.
Die Idee des Stückes war es, Nacht- und Traummomente junger Menschen in Wort und Bewegung zu gestalten. In dem Abschnitt, für das ich meine Musik komponierte, gestalteten die jungen Tänzer:innen ein Pas de deux, das permament misslang und so zu einer recht paradoxen Szenerie führte. Das war aber nicht nur der Alptraum eines Komponisten über das Misslingen seiner Musik durch unglückliche Umstände bei der Aufführung. Vielleicht spiegelt es auch den seltsamen Umgang junger Menschen in der befremdenden Begegnung mit alter Musik. Nach der UA im Thalia-Theater in Halle folgten viele weitere Aufführungen. Die Schönebecker Kammerphilharmonie hällt dabei der Rekord von fünf Folge-Aufführungen unter verschiedenen Dirigenten.

Kommentar

Zum Titel sind vielleicht zwei Randbemerkungen gestattet:
Einmal beruft sich die Schreibung des Wortes Alptraum auf die mehr ethymologisch fundierte Schreibung Albtraum auf die Zeit vor der deutschen Rechtschreibreform 1996, was den Bezug auf Händel unterstreicht zu dessen Lebzeit es die übliche Schreibung mit p war. Heutzutage sind laut aktuellem Duden beide Schreibungen zulässig. Der Duden empfielt allerdings in allen neueren Druckwerken die B-Schreibweise.
Andererseits wird in dem Werk kein direkter Bezug auf ein Musikwerk Händels genommen. Es gibt also keine Zitate oder dergleichen Üblichkeiten. Die thematische Anfangssequenz (s. Abb.) "barockelt" einfach so vor sich hin. Sie könnte von Händel stammen, aber auch von anderen Zeitgenossen des großen Meisters. Das Alptraumartige beginnt nach zwei Takten, die korrekt im Stile des Barock harmonisiert sind, mit bewussten "Fehlgriffen" in einigen Instrumentenparien. Schnell fängt sich das Geschehen wieder und diese Folge von Richtig und Falsch wiederholt sich in einer Art Pas de deux, bei der sich die Tanzpartner:innen infolge mangelnder Koordination wechselseitig auf die Füße treten. In der Bühnenfassung kann man das direkt mitverfolgen.



Das besagte Anfangsmotiv von kadenzharmonischer Orientierung und unmittelbar darauffolgender dissonater Variante hinterlässt im Fortgang der Eröffnung den Eindruck, als ob sich einige Musiker:innen ständig verspielen, sich dann wieder fangen und wieder verspielen. Eine Szene quasi aus dem realen Leben gegriffen. Nach dem Beginn folgt ein Mittelteil in dem mit der anapästischen Figur aus zwei Sechzehntel- und einer Achtelnote mehr und mehr ein freies Spiel betrieben wird, bis es zur Auflösung der thematischen Substanz kommt. Kurz vor dem Schluss gewinnt ein Solo der Geige eine raumgreifende melodische Linie, deren Gestalt in einer Variation des Anfangs fußt. Aus wenigen Reminiszenzen des Beginns formt sich ein Schluss, bei dem alle Tanzenden erschöpft zu Boden fallen. So hat es in jedem Fall die Choreografie interpretiert.
Dirigentisch ist das Stück eine kleine Herausforderung an die Konzentration, an die Leichtigkeit dieses musikalischen Aphorismus und an das Zusammenspiel aller Elemente.

Thomas Buchholz, 2011





© 2006 Thomas Buchholz - Komponist

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